Mosse erinnern!

Rudolf Mosse 1843-1920

mehr zur Familie Mosse, zu den Mossetagen, zur Ausstellung und zu den Fußballturnieren um den Mossepokal auf der

Webseite Mossestrasse.de

der Bürgerinitiative „Mosse erinnern!“ unter dem Dach von Gesellschaftsspiele e.V.

wie es anfing

„Rudolf-Mosse-Straße“? Ich war ziemlich verblüfft, als ich bei den Recherchen für mein Buch „Weiszheithaus“ in alten Stadtplänen des Prenzlauer Bergs auf diesen Namen stieß. Wohl erinnerte ich mich an das mit Einschüssen übersäte Mosse-Palais im Kapitel „Spartakusaufstand“ meines Geschichts-Schulbuchs, auch als Herausgeber des berühmten „Tageblatt“ war mir der Name Rudolf Mosse ein Begriff, aber dass ausgerechnet die Straße, in der ich das fiktive „Weiszheithaus“ meines neuen Romans erbaut hatte, 1920 nach dem Multimillionär und Zeitungskönig der Kaiserzeit benannt worden war, hatte ich nicht gewusst. Zumindest ein Teil der Straße, nämlich der südlich der Gaudy-Straße gelegene. Unter den Rasenflächen des Jahn-Sportparks, wo ich oft joggen ging, liegt ein vergessenes Straßenpflaster!

Was verband den Millionär mit dem Arbeiterbezirk?
In der Gründerzeit war Rudolf Mosse nicht nur der bedeutendste Presse-Unternehmer, sondern auch einer der wichtigsten Mäzene der Reichshauptstadt. Geboren 1843 in Posen, hatte er mit 24 Jahren in Berlin eine Annoncen-Expedition gegründet. Seit 1872 gab er das Flaggschiff des preußischen Liberalismus, das Berliner Tageblatt, heraus und in den folgenden Jahren zahlreiche weitere Zeitungen. Ein umfangreicher Anzeigenteil ermöglichte günstigere Zeitungspreise als bei der Konkurrenz, steigende Auflagen wiederum erhöhten den Wert der verkauften Anzeigen. Das Konzept revolutionierte den Medienmarkt mit ähnlichen Folgen wie heute die sozialen Netzwerke das Internet.
Rudolf Mosse und seine Frau Emilie wendeten einen großen Teil ihres Vermögens auf wohltätige Spenden, förderten Künstler und Institutionen und errichteten Stiftungen wie die Emilie- und Rudolf Mosse-Stiftung in Charlottenburg. Mehrfach spendeten die Mosses für die Einrichtung von Sport- und Erholungsstätten, darunter auch für Einrichtungen auf dem Gelände des ehemaligen Exerzierplatzes zwischen Schönhauser Allee und Nordbahn, wo Anfang des Jahrhunderts Herta trainierte.
Anlässlich seines 70. Geburtstages und der „Millionenspende“, einer spektakulär hohen Schenkung an die Stadt Berlin, teilte der Magistrat am 8.5.1913 mit: „Um das Andenken ihres Mitbürgers, von dessen lebendigem Gemeinsinn und warmen Interesse für seine Heimatstadt auch diese neueste Stiftung ein nachdrückliches Zeugnis ablegt, zu wahren, will der Magistrat in Anregung bringen, dass der Name des Stifters in einer der künftig neu zu benennenden Straßen fortlebe.“
Durch Krieg und Revolution verzögert, konnte das Vorhaben erst 1920 umgesetzt werden. Die Südhälfte der Sonnenburger Straße trug ab Mai 1920 den Namen „Rudolf-Mosse-Straße“. Beginnend an der Gaudystraße machte sie in der Mitte einen Knick, um dann im rechten Winkel auf die Eberswalder Straße zu treffen. An ihrer westlichen Straßenseite entstand zur gleichen Zeit eine Holzhaussiedlung, in der Flüchtlingsfamilien aus den an Polen abzutretenden Ostgebieten des Reichs eine neue Heimat fanden.
Den Nazis, dfie 1933 an die Macht kamen, waren jüdische Straßennamen im Allgemeinen und die Erinnerung an den Liberalen Rudolf Mosse insbesondere ein Dorn im Auge, weshalb sie 1935 die Benennung aufhoben. Sie tilgten biografische Spuren, ließen die Gemäldesammlung der Familie verkaufen und liquidierten die Firma. Die Zerstörung von Archiven und des Mosse-Palais im Krieg, die Ermordung oder erzwungene Emigration von Familienmitgliedern taten ein übriges, die Erinnerungen auszulöschen.
Die Straße wurde nach dem Krieg nicht rückbenannt, weil der bürgerlich-liberale Millionär den Machthabern im Sowjetischen Sektor von Berlin als „Klassenfeind“ galt. Für das Deutschlandtreffen der Jugend 1950 und die Weltfestspiele im folgenden Jahr wurde das Gelände des Exer eingeebnet, die Mosse-Straße verschwand unter einer dicken Schicht Trümmerschutt. FDJ-ler errichteten in freiwilligen Arbeitseinsätzen Sportanlagen und ein Stadion. Seitdem endet die Sonnenburger Straße an einem Neubau in der Gaudy-Straße.

Bis heute hängt die kollektive Erinnerung schief: Im Sportpark erinnert nichts mehr an den großzügigen Mäzen, statt dessen sind die Namen des Antisemiten Friedrich Ludwig Jahn und des Nazi-Vorzeigeboxers Max Schmeling in aller Munde.
Die geplanten Sanierungen im Sportpark wären eine gute Gelegenheit, an Rudolf Mosse und seine Rolle als Mäzen zu erinnern. Vielleicht sollte man das neu zu errichtende Stadion nach ihm benennen? Am 8. September 2020 jährt sich der Todestag Rudolf Mosses zum hundertsten Mal.

Die Bürgerinitiative „Mosse erinnern“ arbeitet seit 2018 daran, die Schieflage der Erinnerung zu korrigieren. Gemeinsam mit dem Fanprojekt Fußballkulturen, mit Unterstützung des Stadtbezirks, des SV Empor, des Gesellschaftsspiele e.V., des Berliner Fußballverbandes und der Senatsverwaltung für Bildung und zahlreichen anderen Akteuren haben wir unter bisher u.a. eine Ausstellung entlang der ehemaligen Mossestraße, Seminare, Straßenführungen und mehrere Fußballturniere um den Mossepokal organisiert. Inzwischen hat sich unser Turnier zu einem der wichtigsten Mädchen-Fußball-Events in Berlin gemausert. Mehr dazu auf unserer

Webseite Mossestrasse.de

Grußbotschaft von Roger Strauch

Roger Strauch ist ein Ururenkel von Rudolf Mosse. Ich lernte ihn auf einer Tagung kennen, die das Deutsche Museum Berlin über seinen Onkel George Lachmann-Mosse veranstaltete – einen bekannten Holocaustforscher, der Deutschland 1933 im Alter von 14 Jahren verlassen hatte. Zur Eröffnung der Mosse-Tage Berlin, die wir vom 8. bis 23.9.2020 im Jahn-Sportpark veranstalteten, schickte er diese Grußbotschaft.