1999 stifteten Ingrid und Walther Seinsch einen Preis zur Erinnerung an die im Holocaust ermordeten jüdischen Kinder und wählten im Gedenkbuch für die deportierten deutschen Juden nach dem Zufallsprinzip einen Namen aus: Den der 1931 in Arnswalde geborenen Marion Samuel. Von ihr war neben dem Geburtsdatum und -ort der Tag ihres Abtransports aus Berlin nach Auschwitz bekannt: der 3. März 1943 – mehr wussten die Stifter nicht, denn die ganze Familie war in Auschwitz umgekommen. Sie war arm und hatte daher nur wenige Spuren hinterlassen.
Dass wir trotzdem einiges über Marion Samuel und ihre Familie wissen verdanken wir Götz Aly. „Als ich Ende November 2002 von Walther Seinsch die knappe Mitteilung erhielt ‚wir möchten Sie im nächsten Jahr mit dem Marion-Samuel-Preis ehren‘ fragte ich mich irritiert: Wer war diese Marion Samuel? … Ich wollte mehr wissen und bei der Preisverleihung über das kurze Leben der Marion Samuel sprechen.“
Die beinahe unglaubliche, jedenfalls unglaublich akribische und liebevolle Spurensuche hat der Historiker in seinem Buch „Im Tunnel, das kurze Leben der Marion Samuel 1931-19432“ dokumentiert (Neuauflage bei S.Fischer 2011: „Eine von so vielen: Das kurze Leben der Marion Samuel“). Wir danken ihm für die Erlaubnis zur Einbettung der Fotos und der folgenden Zusammenfassung:
Marion Samuel wurde am 27. Juli 1931 in Arnswalde (bis 1945 Brandenburg, heute Choszczno in Polen) als Tochter von Ernst und Cilly Samuel geboren. Vor dem Hass der Nachbarn flohen Ernst und Cilly 1935 mit ihrer Tochter in die Anonymität der Großstadt Berlin, wo der Vater ein Zigarrengeschäft in der Rhinower Straße 11 eröffnete. Ab 1937 firmierte er im Berliner Adressbuch nur noch als kaufmännischer Angestellter, hatte also wohl seine Selbstständigkeit verloren.
Marion wurde am 1. April 1937 in die 117. Volksschule in der Sonnenburger Straße aufgenommen, musste aber schon für die zweite Klasse in die III. Volksschule der jüdischen Gemeinde in der Rykestraße 53 und später in die jüdische Grundschule in der Choriner Straße wechseln.
Nachdem 1942 sämtliche jüdische Schulen im Deutschen Reich geschlossen worden waren, blieb Marion zu Hause, in der kleinen Parterrewohnung Rhinower Straße 11 mit einem Zimmer und Küche. Sie war wohl oft allein. Ihre Eltern mussten seit 1941 Zwangsarbeit bei Daimler-Benz und bei Blaupunkt leisten.
Am 27. Februar 1943 wurden sie im Rahmen der Fabrikaktion verhaftet. Marion wurde am gleichen Tag von der Gestapo zu Hause abgeholt und in die Sammelstelle Große Hamburger gebracht. Erst am 1.März sah die 11-Jährige ihren Vater wieder. Sie wurde mit ihm gemeinsam zum Güterbahnhof Moabit gebracht, nach Auschwitz deportiert und am 4. März in den Gaskammern von Auschwitz ermordet. Ihre Leiche wurde von Angehörigen des Häftlings-Sonderkommandos in einer Grube in der Nähe verbrannt und verschüttet.
Noch nach ihrem Tod wandte sich die Eigentümerin des Hauses Rhinower Straße 11 Wally Waschinsky an die Finanzkasse der Berliner Finanzdirektion und forderte rückständige Mieten für die versiegelte Wohnung der Deportierten, die ihr im Juni 1943 schließlich angewiesen wurde.
Die Stolpersteine wurden gespendet von:
B.Schlutt 10 € xxx 10 € U. Schunder 10 € H. Siemann 10 € J. Maurer 10 € D. Börtzler 10 € Martina Carl / Bar Rhinoçéros 10 € Benedict Berna / Bar Rhinoçéros 10 € Wilfried und Britte Melang 20 € |
Birgit Pomorin 10 €
Christian Stein 10 €
Ilse Vahl u.a 30 €
Eva Schmitt 10 €
Zentrum für Freunde der Schwarzweiß-Fotografie e.V. 30 €
Frank-J. Conte-Schäfer et Co. 20 €
Fabien Lévy 10 €
Stephan Müller 10 €
Constanze Guhr/ Atelier petit4 30 €
Bianca Schaalburg/ Atelier petit4 30 €
Anke Reiffersberger 20 €
Andreas Strohfeldt 10 €
Florian Ansorge und Hongyan Yu 20 €
Tanja Dückers und Anton Landgraf 20 €
Jenny Zeidler 10 €
Wenn Sie mehr über die jüdischen Einwohner des Kiezes um die Kopenhagener/ Sonnenburger/ Gleimstraße erfahren wollen, folgen sie den Spuren mittels dieser Dokumentation