Lesung und Stadtführung auf den Spuren fiktiver und historischer Figuren aus
dem „Weiszheithaus„, Dauer ca. 2 Stunden
Weil die Stadtführungen seit 2020 nicht mehr live stattfinden können, habe ich die wichtigsten Stationen hier zusammengefasst: Wir beginnen an der Buchhandlung Neues Kapitel auf der Kopenhagener Straße (wo Sie das Buch natürlich auch kaufen können). Die Zeugnisse der Geschichte ballen sich hier so dicht, dass wir kaum 900m laufen müssen um das ganze Jahrhundert zu durchmessen. Unser Weg führt uns auf der Kopenhagener westwärts bis zur Sonnenburger, dann in Richtung Süden bis zur Mosse-/Ecke Gaudystraße und auf der Rhinower wieder zurück zur Kopenhagener.
Schauen Sie sich die Häuser gegenüber der Buchhandlung an: Gebaut um 1900 bis 1910, sind die Fassaden der Häuser mit den Nummern 71 bis 78 dem gerade modern werdenden Jugendstil nachempfunden. Als einzige zusammenhängend erhaltene Front in Berlin stehen sie unter Denkmalschutz.
Wir gehen die Kopenhagener Straße zunächst Richtung Westen bis zur Nummer 11 und zu den Stolpersteinen für Gustav und Clara Seelig. Ihre tragische und zugleich empörende Geschichte habe ich hier aufgeschrieben. Das Haus brannte in den Straßenkämpfen 1945 aus. Die Ruine wurde später abgeräumt und das Grundstück in den 60iger Jahren in Volkseigentum überführt.
Weiter in Richtung Westen stehen wir vor dem Haus Nummer 13, das in vielerlei Hinsicht bemerkenswert ist:
… weil es angesichts der intakten Fassade kaum zu glauben ist, dass dieses Haus im zweiten Weltkrieg schwere Beschädigungen erlitten hat, wie das nebenstehende Bild von ca. 1952 aus dem Buch „Ich schlug meiner Mutter die brennenden Funken ab“ zeigt
… weil es ein krasses und leider doch typisches Beispiel für Gentrifizierung, Habgier und eine fehlgeschlagene Sanierung ist
… und nicht zuletzt weil hier Dreharbeiten für Solo Sunny stattfanden. Renate Krössner bekam für ihre Rolle 1980 auf der Berlinale einen Silbernen Bären. Weitere Filme, die in der Straße gedreht wurden: Das Leben ist eine Baustelle, Der Rote Kakadu, Sommer vorm Balkon, Männerherzen, Weissensee.
Nicht nur die Nummern 11 und 13 wurden im Krieg beschädigt: ein Vergleich der Luftbilder zeigt die Zerstörungen des zweiten Weltkriegs in der Kopenhagener Straße:
Teilweise zerstört wurde die Brücke in Verlängerung der Sonnenburger über die Ringbahn, welche zunächst durch ein Provisorium wieder brauchbar und nach dem Abriss durch die noch heute bestehende schmale Fußgängerbrücke ersetzt wurde. Ein Zeitzeugeninterview finden Sie hier.
Weiter geht es Richtung Wedding/ Westen. Die Häuser mit den Nummern 14 bis 16 wurden zusammen gebaut und verfügen über einen gemeinsamen Tiefkeller, dh. unter den „normalen“ Mieterkellern befindet sich eine weitere Kelleretage. Neben den Hauseingängen sieht man jeweils eine mannshohe Doppeltür. Wenn man Glück hat und eine gerade offensteht kann man hinunterschauen auf eine lange Treppe mit eingefügten Schienen, auf denen mittels einer Seilwinde Lasten hoch und runter gezogen wurden.
Ursprünglich dienten die Unterkeller der Lagerung von Eis, das im Winter auf Brandenburgs Seen geerntet, mit der Bahn antransportiert und eingelagert wurde. Der Boden zeigt noch Ablaufrinnen. Zugänglich war der Keller nicht nur von der Straße aus, sondern auch von der Ringbahn aus – was noch gut zu erkennen ist, wenn man auf die Fußgängerbrücke tritt und nach unten schaut.
Nun biegen wir nach links in die Sonnenburger ein, in der zunächst das kulissenhafte Umspannwerk von 1926 auffällt. Übrigens gibt es eine zweite Kopenhagener Straße in Berlin und auch dort existiert ein Umspannwerk, das im gleichen Jahr und vom gleichen Architekten in ähnlichem Stil gebaut wurde.
In Betrieb war es, zumindest teilweise, noch bis 1993. Anwohner erinnern sich an den manchmal beißenden Ozongeruch. Danach war es Vitra Design-Museum, bevor Vattenfall es 2007 für 5 Millionen Euro an die kanadische Tippin Corporation verkaufte – welche es keine 8 Jahre später für nun 22 Millionen an Signature Capital versilberte.
Das nächste Grundstück Richtung Süden ist heute Grünfläche. Bis 1945 stand hier die 117. und 178. Volksschule (ein Gebäude mit unterschiedlichen Eingängen für Knaben und Mädchen). In den ersten Tagen nach dem Krieg waren hier große Mengen Munition aus den umliegenden Straßen zwischengelagert worden, die beim versuchten Abtransport im Juni explodierte und neben Trägern und Soldaten auch 15 Kinder das Leben kostete.
In die Volksschule ging auch Marion Samuel, über die Götz Aly in seinem Buch „Das kurze Leben der Marion Samuel 1931 bis 1943“ berichtet. Mehr über die Familie Samuel, die 1943 von den Nazis ermordet wurde, finden Sie auf der Seite zu unserer Stolpersteinaktion.
Weiter in Richtung Süden gehen wir die Sonnenburger Straße bis zum Durchgang zur Gaudystraße. Zahlreiche Brachen bzw. Neubauten zeugen von den schweren Kämpfen bei Kriegsende: Vor allem die Eckhäuser dienten als taktische Stützpunkte und wurden entsprechend häufig zerstört, zumal die Sowjetarmee Berlin nicht nur direkt von Osten angriff, sondern mit einer Zangenbewegung umfasste:
Südlich der Gaudystraße befindet sich heute der Jahn-Sportpark, früher „Exer“ genannt nach dem Exerzierplatz, der sich hier bis zum 1.Weltkrieg befand. Wegen der schnell in die Höhe wachsenden Mietshäuser ringsum hatte das Militär den Übungsplatz in den 90iger Jahren geräumt und den Freizeitaktivitäten der Nachbarn überlassen. Ab 1915 wurde das Gelände umgestaltet. Rudolf und Emilie Mosse stellten Mittel zur Verfügung, um eine Kombination von Park- und Sportanlagen zu ermöglichen. Deshalb wurden 1920 die Verbindungsstraße von der Eberswalder zur Sonnenburger in „Rudolf-Mosse-Straße“ umbenannt. Mehr zu Rudolf Mosse finden Sie auf den Seiten der Initiative „Mosse erinnern!“
Zwei Luftbilder dokumentieren die Entstehung und das Verschwinden der Rudolf-Mosse-Straße:
Wir gehen entlang der Gaudystraße Richtung Schönhauser, also nach Westen, und biegen links in die Rhinower ein. An der nächsten Straßenecke, in der Gleimstraße 20, befand sich früher Zentrale von Prochaska, einem der ersten Händler mit Radio-Bauteilen und Radios in Berlin.
unter dem Motto „mit Radios von Prochaska von Kapstadt bis Alaska“ verkauften die Geschäfte jene Bauteile, mit denen die ersten Radio-Enthusiasten ihre Geräte zusammenlöteten.
Die enorme Erweiterung der Zahl seiner Geschäfte nach 1933 ist auffällig und nährt den Verdacht, dass der Inhaber von Arisierungen profitierte. Näheres ist nicht bisher bekannt. Prohaska wechselte vorsichtshalber 1945 in den Westteil der Stadt.
Die Rhinower Straße weiter in Richtung Norden kommen wir noch an der Rhinower Straße 11 vorbei. Hier, rechts vom Eingang, wohnten Marion Samuel und ihre Eltern bis 1943 in einer kleinen Parterrewohnung, die zeitweise auch als Tabakladen diente; und hier sollen die Stolpersteine verlegt werden, für die Nachbarn bereits das Geld gesammelt haben. Ein paar Meter weiter gelangen wir zur Kopenhagener Straße und sind damit am Ausgangspunkt unserer Stadtwanderung angekommen.